Nur die städtebauliche Anordnung ihrer Gebäude in einem großen Viertelkreis und die Kubatur ihrer Baublöcke mit steilen Walmdächern werden künftig an die einstige Nebenstelle des Heeresbekleidungsamtes Bernau erinnern.
Bei der großen Freude darüber, dass die seit 1994 ungenutzte Liegenschaft nach langer Investorensuche gegenwärtig nun endlich im Rahmen eines Konversionsprojektes zum Wohnpark entwickelt wird, ist leider festzustellen, dass die historische Bausubstanz bei den Bauarbeiten bis auf die Tragstruktur entfernt wird.
Anders als das ebenfalls noch ungenutzte Heeresbekleidungshauptamt im Süden Bernaus wurde die imposante Bauanlage der Nebenstelle nicht in die Denkmalliste aufgenommen.
Wir freuen uns, die Bilddokumentation von Robert Conrad präsentieren zu können und verweisen auch auf seinen Text unten, der die wesentlichen historischen und baugeschichtlichen Fakten zusammenfasst. tk, 03.01.2019
Im Dezember 2021 ergänzt Florian Steinborn mit dem Beitrag
Ausschnitthafte Bilddokumentation 2003/2004/2017 die Präsentation des Objektes innerhalb des VIMUDEAP. tk, 17.12.2021
Kurzer historischer und baugeschichtlicher Abriss
Im Rahmen der massiven deutschen Aufrüstungsbestrebungen unter dem nationalsozialistischen Regime wurde das ursprünglich in der Lehrter Straße in Berlin gelegene Heeresbekleidungsamt als Lieferant und Depot von Militäruniformen erweitert und an zwei neue Standorte im nahen Bernau verlegt. Trotz der Bezeichnung Heeresbekleidungsamt versorgte die Einrichtung reichsweit neben den Heerestruppen auch Luft- und Seestreitkräfte. Zur Einkleidung der ständig wachsenden Deutschen Wehrmacht wurden riesige Magazine und Lagerräume benötigt, die nun ab 1938 in Bernau neu errichtet wurden.
Am südlichen Stadtrand entstand an der Schwanebecker Chaussee das so genannte Heeresbekleidungshauptamt und östlich der Innenstadt am Schönfelder Weg die Nebenstelle. Beide Bauanlagen weisen jeweils eine Flächenausdehnung auf, die der Bernauer Altstadt entspricht. Wenn man bedenkt, dass außerdem im Nordwesten der Stadt eine weiträumige Kaserne der Luftwaffe mit benachbarter Wohnsiedlung gebaut wurde, wird klar, wie tiefgreifend sich die NS-Rüstungspolitik auf die Stadt auswirkte.
Über die Baugeschichte der beiden Anlagen des Bekleidungsamtes ist bisher wenig bekannt. Weder die Namen des bzw. der Architekten konnten ermittelt werden, noch liegen überkommene Planunterlagen vor. Als Bauzeit wird 1938 bis 1942 angenommen, eine erste Nutzung bereits fertiggestellter Bauabschnitte fand ab 1941 statt.
Beide Bauensembles ähneln einander in Konstruktion und Gestaltung stark, so dass hier das Wirken der selben Entwurfsverfasser zu vermuten ist. Dabei kann es sich sowohl um beamtete Planer der Heeresbauverwaltung, als auch um durch das Heer beauftragte freie Architekten handeln.
Besonders typisch für die Baugestaltung beider Anlagen ist eine dem Industriebau entlehnte moderne Konstruktion in Stahlbeton-Skelettbauweise, welche jedoch bei allen Bauten - entsprechend der damals herrschenden „Heimatschutz“- und „Blut-und-Boden“-Doktrin - hinter archaisierenden und auf ländliche Vorbilder verweisenden Fassaden aus Sichtmauerwerk verborgen sind. Die vorgeblendeten leuchtend roten Klinker, teilweise im aufwändigen Prüssverband verbaut, verleihen den Gebäuden eine dezente expressionistische Note und verweisen auf die norddeutsche Backsteintradition. In ihrer Kubatur und mit dem einheitlichen steilen Walmdach entsprechen die zweigeschossigen Bauten der zeitgenössischen Kasernenarchitektur mit charakteristischer Mittelgangerschließung, auch wenn es sich hier nicht um Soldatenunterkünfte, sondern um Lagerhäuser handelt.
Die Dachkonstruktionen sind einheitlich in massivem Stahlbeton ausgeführt, um so möglichen Fliegerangriffen mit Brandbomben entgegen zu wirken. Charakteristisch für beide Bauanlagen sind außerdem die großen Fensterflächen, welche im Gebäudeinneren den Eindruck von Produktionshallen vermitteln. Vermutlich wurden hier neben der Bekleidungslagerung auch industrielle Uniformnähereien betrieben.
Anders als beim Heeresbekleidungshauptamt mit seinem orthogonal ausgerichteten Städtebau beschreibt die etwa 21 Hektar umfassende Anlage des Nebenamtes mit ihren acht langgestreckten Blöcken einen weitläufigen Viertelkreis, der sich östlich um den Teufelspfuhl mit der Quelle des Flüsschens Panke schmiegt, siehe Detailkarte. Dabei wechseln sich einfache Riegelbauten mit Bauten auf T-förmigem Grundriss dergestalt ab, dass Gebäudeflügel in gleichmäßigen Abständen strahlenartig aus dem Kreisbogen ragen. Diesen markanten Städtebau findet man auch auch bei anderen Bauanlagen der NS-Zeit, beispielsweise beim ehemaligen Flughafen Berlin Tempelhof, dem damals im Rohbau fertiggestellten KdF-Bad Prora auf Rügen und der riesigen, heute verfallenden Kasernenanlage des früheren mecklenburgischen Fliegerhorstes Hagenow.
Alle Bauten des Heeresbekleidungsnebenamtes sind dabei durch einen gemeinsamen Keller und überdachte Verbindungsgänge im Erdgeschoss miteinander verbunden. Die Erschließung sämtlicher Gebäude erfolgte durch einen Eisenbahnanschluss im Inneren des Kreisbogens, gepflasterte Lkw-Zufahrten an dessen Außenseite sowie durch große Lastenaufzüge im Inneren der Gebäude. Insgesamt weist die Anlage 65.000 Quadratmeter Nutzfläche auf. Bis 1945 sollen hier 1.300 Militärangehörige und Zivilangestellte beschäftigt gewesen sein.
Nach dem Krieg nutzte die sowjetische Armee den Gebäudekomplex anfangs als Sammelpunkt für Reparationsgüter vor deren Abtransport nach Osten. Später wurde hier ein Nachschub- und Versorgungsdepot eingerichtet: Auch die Rote Armee lagerte hier Uniformen und Zubehör. Dazu wurden eine Reparaturnäherei und eine chemische Reinigung betrieben.
1965 kam es in der Reinigung zu einem Unfall mit so schwerwiegender Kontamination von Boden und Grundwasser, dass das nahe gelegene Bernauer Wasserwerk geschlossen werden musste.
Neben dem Uniform- und Versorgungsdepot und seinem Stab waren hier auch eine Transporteinheit und eine Nachschubbrigade des sowjetischen Verteidigungsministeriums stationiert, außerdem befand sich hier eine zentrale Poststelle.
Nach dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte zu Beginn der 1990er Jahre gelang es mehr als zwei Jahrzehnte lang nicht, ein ziviles Nutzungskonzept für das Gelände zu entwickeln und umzusetzen. Einzig ein engagierter lokaler Verein und eine Künstlergruppe engagierten sich für den Unterhalt der durch den langen Leerstand gefährdeten Bausubstanz und partielle Zwischennutzungen. Erst seit 2015 läuft ein umfassendes Konversionsprojekt mit dem Ziel der Umgestaltung zum Wohnpark.
In Abstimmung mit der Stadt hat ein privater Investor inzwischen begonnen, hier etwa 500 Wohnungen im Bestand zu bauen. Dabei bleibt allerdings außer den historischen Betonskeletten kaum originale Bausubstanz erhalten, nur noch die Gebäudeanordnung und die etwaige Kubatur der Bauten werden künftig noch zu erkennen sein.
Erstaunlicherweise wurde die imposante Bauanlage trotz ihres markanten Städtebaus, ihrer qualitätsvollen Architektur und ihrer hohen zeitgeschichtlichen Aussagekraft nie unter Denkmalschutz gestellt - im Gegensatz zur Schwesteranlage des ehemaligen Heeresbekleidungshauptamtes an der Schwanebecker Chaussee. Zumindest diese ist als eingetragenes Baudenkmal vor Zerstörungen geschützt. Der selbe Investor plant auch hier eine Umgestaltung zur - im rasch wachsenden Bernau dringend benötigten - Wohnanlage, jedoch ist ihm hier ein sensibler Umgang mit dem baulichen Bestand vorgeschrieben.
Es bleibt zu hoffen, dass die Umnutzung hier zu einem überzeugenderen Ergebnis kommt, beispielsweise was die die Anlage prägenden Verbindungsbauten zwischen den einzelnen Gebäuden anbetrifft, welche beim Hauptamt noch erhalten sind, während sie beim Nebenamt gerade abgerissen wurden. Auch der Erhalt der bauzeitlichen Außengestaltung, vor allem der historischen Baumalleen, ist für das Hauptamt dringend zu wünschen. [232] [233] [234] [235]
Robert Conrad, 02.01.2019
Dieses und weitere 36 Objekte finden Sie im Bild-Text-Band »VERGESSENE ORTE in Berlin und Brandenburg« des Architekturfotografen, Bauhistorikers und VIMUDEAP-Autors Robert Conrad.
Blick ins Buch → VIMUDEAP.info/vergessene-orte
Am 30.Juni 1993 verließen die letzten russischen Truppen Bernau. Fast genau 10 Jahre später besuchte ich die Liegenschaften des Heeresbekleidungsamtes (Haupt- und Nebenstelle) das erste Mal, um zu fotografieren.
Die ersten Bilder entstanden als Schnappschüsse über Zaun und Mauer (2003), 2004 fand dann ein gründlicherer Besuch mit Zutrittsgenehmigung statt. Die Liegenschaft stellte sich mir nahezu komplett beräumt dar. Nur ein kleiner Teil wurde von einem Künstlerverein benutzt. Entsprechend groß war die Überraschung, in einem Keller hunderte von gestapelten Hockern und unter dem Dach eine fast intakte Disko zu finden.
Die relative Nähe zu umliegenden Einfamilienhäusern und die Bewachung des Objekts waren die Ursache dafür, dass die sonst verbreiteten Spuren von Vandalismus hier noch fehlten. Die folgenden Jahre waren von Verfall geprägt, bis 2017 die Umgestaltung zur Wohnanlage begann. Dieser Umbau ist Stand heute (Dezember 2021) nahezu abgeschlossen.
Florian Steinborn, 17.12.2021
Mit dem Bildband »Stillgelegt - 100 verlassene Orte in Deutschland und Europa« präsentieren wir eine weitere Perspektive auf das Thema »Toter Ort« im VIMUDEAP-Kontext. Die drei Autoren Robert Conrad, Michael Täger und Thomas Kemnitz arbeiten seit Jahren erfolgreich im Projekt VIMUDEAP zusammen. Der großformatige Bildband entstand 2015 auf Initiative des DuMont Reiseverlages. Er ist im Herbst 2023 in seiner 3. überarbeiteten Auflage erschienen.
Seite aufrufen25 Jahre nach dem Mauerfall gelingt es der Serie des Berliner Fotografen Robert Conrad, das inzwischen verschwundene Symbol des Kalten Krieges mahnend wiederzuerrichten und Erinnerungen wachzurufen.
Seite aufrufenMit »VERGESSENE ORTE in Berlin und Brandenburg« ist im November 2019 im Mitteldeutschen Verlag ein Buch erschienen, daß man zweifelsohne als weiters VIMUDEAP-Buch bezeichnen kann.
In seinem Bild-Text-Band erzählt der Architekturfotograf, Bauhistoriker und VIMUDEAP-Autor Robert Conrad eine Geschichte des 20. Jahrhunderts in der Region Berlin-Brandenburg.
Eine Auflistung unserer Präsentationen, Vorträge, Interviews ... sowie der Medienberichte über uns.
Seite aufrufenIn unserem kleinen Spreadshirt-Shop können Sie eine Kapuzenjacke mit dem VIMUDEAP Logo zum Herstellungspreis bestellen.
Externen Link öffnenDie Online-Ausstellung ist ein Plädoyer für den Erhalt der baugebundenen Kunst der DDR! Wir zeigen 40 Fotografien des Cottbusser Architekten und Fotografen Martin Maleschka, die als Bildpaare und Einzelbilder präsentiert werden. Sie zeigen 20 baugebundene Kunstwerke verschiedener Techniken und aus unterschiedlichen Materialien aus 16 Städten der ehemaligen DDR.
Seite aufrufenDie erste VIMUDEAP Onlineausstellung bestreitet der Londoner Künstler Angus Boulton. Mit seinem Werk »41 Gymnasia« erinnern wir an den 20. Jahrestag des Abzuges der Sowjetischen Truppen aus Deutschland.
Seite aufrufenDie verlassene sowjetische Bergarbeiterstadt »Pyramiden« auf der arktischen Insel Spitzbergen ist für die Norweger Elin Andreassen, Hein Bjerck und Bjørnar Olsen in ihrem Projekt RUINMEMORIES Gegenstand archäologischer Forschungen und Reflexionen zum Thema »Moderne Ruinen«.
Wir freuen uns, Ausschnitte ihrer Arbeit als weitere Perspektive auf das Thema »ungenutzte Architektur« präsentieren zu können!
Vor 30 Jahren ereignete sich am Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl der bisher schlimmste Atomunfall der Zivilisationsgeschichte, der bis heute tausende Menschenleben forderte. Während weiterhin versucht wird, den Unglücksreaktor mit schützenden Hüllen zu umgeben, konserviert die einstige Schlafstadt »Prypjat« ihren damaligen Zustand beharrlich. Die Bilder von Michael Täger geben diesen ausschnitthaft und in beeindruckender Art und Weise wieder.
Seite aufrufenDer Schulkomplex auf dem Großen Ziegenberg in Ballenstedt hat als Ort der Elitenbildung eine Geschichte als »Staatliche Nationalpolitische Bildungsanstalt - Ballenstedt« (»Napobi Ballenstedt«, später »NPEA Anhalt in Ballenstedt«) und als »Bezirksparteischule ›Wilhelm Liebknecht‹ der SED-Bezirksleitung Halle«. Der Beitrag präsentiert die im Jahr 2010 entstandenen Aufnahmen und skizziert die Nutzungs- und Baugeschichte.
Seite aufrufenDie Inhalte der in den Jahren 2005/2006 von uns produzierten und in der Edition Vimudeap erschienenen CD/DVD zur untertägigen Anlage »Malachit/Komplexlager 12« wurden im Jahr 2014 remastered. Für die Präsentation innerhalb des Virtuellen Museums der Toten Orte wurden die Einzelbilder, 360° Rundblicke und interaktiven Karten neu aufbereitet.
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Das Areal nach der Umgestaltung
Das aus luftiger Höhe über dem Pankepark aufgenommene Panorama zeigt das Areal, jetzt als Wohnpark »Pankebogen« bezeichnet, im Oktober 2023.