»Der Fichtelberg bei Oberwiesenthal im Erzgebirgskreis ist mit 1.214,79 m ü. NHN1 der höchste Berg in Sachsen. Gemeinsam mit dem nahe gelegenen Klínovec (Keilberg; 1.243,7 m n.m.) auf tschechischer Seite bildet er das bedeutendste Wintersportzentrum des Erzgebirges.« [199]
Ende der 1960er Jahre entstand am Nordosthang des Fichtelbergs als Fertigteilkonstruktion aus vertikalen Beton-Streifenelementen eine 1100 m lange naturvereiste Rennschlittenbahn. Sie wurde bis zur politischen Wende in der DDR durch den Sportstättenbetrieb der Stadt Kurort Oberwiesenthal betrieben und durch den SC Traktor Oberwiesenthal genutzt.
Im Zuge der Errichtung neuer Skilifte und -pisten wurden die erste Kurve vollständig und andere teilweise entfernt bzw. aufgebrochen. Der ehemalige Herrenstart wurde zur »Fichtelberghütte« umgebaut.
Dank
Erhard Klotzsche, der viele Jahre als Trainer im Rennschlittensport tätig war, unterstützte das Projekt VIMUDEAP durch seine fachmännischen Ausführungen bei einer Vor-Ort-Begehung und durch einen ausführlichen Bericht. Ihm gilt unser ausdrücklicher Dank!
Kurzlink zum Objekt → vimudeap.info/rennschlittenbahn
Streckenverlauf
Historische Aufnahmen aus der Bauzeit
Historische Aufnahme mit Einfahrt in Kurve 4
Herrenstart
Damenstart und Kurvenfragment Kurve 2
Streckenfragmente und Energieversorgung
»Pionierstart«, Start für Kinder und Jugendliche
Aufbruch durch Skipiste an Kurve 12
Übergang zwischen Bahn mit Holzbande und Betonrinne vor Kurve 13
Kurve 13
Kurve 15
Kurven 16 und 17
Ziel und Zielgebäude
Kurve 18, Ende
Nach Abschluss des Wiederaufbaus des 1963 abgebrannten Fichtelberghauses im Jahre 1967 blieb der bauausführende Betrieb, das Industrie-, Tief- und Verkehrsbaukombinat (ITVK) Schwarzenberg - möglicherweise hieß er damals noch Bau-Union - gleich vor Ort, um die Rennrodelbahn zu bauen. Die Fertigstellung und offizielle Inbetriebnahme erfolgte im Winter 1969/70. Mir ist jedoch in Erinnerung, dass schon im Winter vorher Trainingswettkämpfe auf dem oberen Teil der Bahn durchgeführt worden sind. Gefahren wurde vom Herrenstart bis zur Kurve 4 und auf dem anschließenden flachen Stück bis zur Einfahrt in Kurve 7 gebremst.
Aus dem Buch »Sportbauten« [200] konnte ich entnehmen, dass die Kurven in Fertigteilkonstruktion aus vertikalen Streifenelementen in Beton errichtet worden sind. Weitere technische Parameter sind mir nicht bekannt.
Die Bahn hatte 18 Kurven und eine Länge von 1087 Metern. Das Ziel befand sich ursprünglich nach der Kurve 18. Da die Zielschranke aber vom Zielhaus nicht einsehbar war, wurde es einige Jahre nach der Inbetriebnahme an das Ende der Geraden vor der Kurve 18 verlegt. Ich vermute, die Längenangabe bezieht sich auf diese Wettkampfstecke, weil mir eine Zahl von über 1100 Metern in Erinnerung ist (bis zur Ausfahrt Kurve 18). Das durchschnittliche Gefälle liegt bei etwas über 9 %, genaue Zahlen kenne ich aber nicht. Die steilsten Abschnitte sind zwischen den Kurven 7 und 10 sowie 14 und 16. Die Zeitmessung erfolgte elektronisch über Lichtschranken. Es gab mehrere Zwischenzeitnahmen. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass es bereits Zeitenschreiber gab. Die einzelnen Zeiten wurden von Hand in vorgedruckte Startkarten eingetragen, die Ergebnislisten erst später mit Maschine geschrieben.
Aus einem kleinen Programmheft ist zu entnehmen, dass in der 1. Märzhälfte 1970 folgende nationalen und internationalen Wettkämpfe ausgetragen wurden: DDR-Bestenermittlung (das war der Wettkampfhöhepunkt für alle die Sportler, die nicht an den Leistungszentren SC Traktor Oberwiesenthal und ASK Vorwärts Oberhof trainierten), Deutsche Rennschlittenmeisterschaften der DDR, Internationales Mitropa-Pokalrennen und Pokal der Freundschaft. Vorher (ohne nähere Zeitangabe) fanden schon die DDR-Juniorenmeisterschaften statt. Auch im Jahre 1971 wurden die DDR-Meisterschaften und das Internationale MItropa-Pokalrennen in Oberwiesenthal ausgetragen. Die Einsitzer fuhren damals vier Rennläufe (heute zwei), also wurde die Bahn auch abends genutzt. Dafür fuhr sogar die Schwebebahn bis spät in die Nacht hinein. Die Fichtelberg-Rennrodelbahn war zu dieser Zeit die modernste Bahn der DDR und stellte hohe fahrtechnische Anforderungen. Selbstverständlich nahmen an den Wettkämpfen alle damaligen Spitzenathleten der DDR teil, so Anna-Maria Müller, Angela Knösel, Klaus Bonsack, Harald Ehrig, Michael Köhler, Wolfgang Scheidel. Horst Hörnlein. Dettlef Günther, Wolfram Fiedler, die Doppel Hörnlein/Bredow, Bonsack/Michael Köhler und Bernd und Ulrich Hahn. Gern gesehene Gäste waren zu den Mitropa-Pokalrennen die italienischen Rodler, so die späteren Olympiasieger ud Weltmeister Hildgartner/Plaikner und der spätere Weltmeister Karl Brunner. Auch aus der damaligen Sowjetunion, aus Polen, der ČSSR und Österreich nahmen Sportler teil.
Nach diesem kurzzeitgen »Höhenflug« änderte sich die die Situation für die Oberwiesenthaler Bahn abrupt. Das hatte mehrere Gründe. 1969 wurde in der BRD die Rodelbahn am Königssee auf künstliche Vereisung umgebaut. Dem dufte die DDR nicht nachstehen. Oberwiesenthal hatte eben erst eine neue Bahn bekommen, also wird die nächste, auch künstlich zu vereisende, in Oberhof gebaut. Sie war ab 1971 für das Training nutzbar, ab 1972 fanden dort Wettkämpfe statt. Die Vorteile einer künstlich vereisbaren Rennschlittenbahn sind enorm: Die Kühlung gewährleistet ein planbares Trainings- und Wettkampfgeschehen, und das von den Monaten September bis April. Damit hatte die These der DDR-Trainingsmethodik, Techniktraining möglichst ganzjährig durchzuführen, eine reale Basis bekommen. Um konkurrenzfähig zu bleiben, trainierten auch die Oberwiesenthaler Rodler regelmäßig in Oberhof.
Die Eisoberfläche einer künstlich vereisten Bahn ist wesentlich glatter als die einer natürlich vereisten und läßt höhere Geschwindigkeiten und eine flachere Fahrtechnik zu. Die Schlitten wurden diesen neuen Gegebenheiten angepaßt, ließen sich danach aber nicht ohne weiteres auf Natureisbahnen fahren.
Die Oberwiesenthaler Bahn versank oft unter dem am Fichtelberg herrschenden Schneereichtum. Trotz Technik (Schneefräse) verging oft ein halber Tag, ehe die Bahn vom Schnee beräumt und damit fahrbereit war. Mir ist in Erinnerung, dass im Winter 1971 ein Rennen (DDR-Meisterschaft oder Mitropa-Pokalrennen) am Sonntag abgebrochen werden mußte, weil die Bahn bis an den Rand voll Schnee lag. Als die Frauen ihre Schlitten vom Damenstart holten, weil sie noch zu einem anderen Rennen fuhren, versanken sie bis zur Hüfte im Schnee.
Den Weg vom Zielauslauf bis zum Start mußten die Sportler damals zu Fuß mit dem Schlitten zurücklegen. Eine Bahnstraße, wie heute üblich, gab es damals nicht. Den Weg durch den Wald mußten sie oft unter dem Schnee suchen.
Die Kurve 15 war ein kaum zu beherrschender »Scharfrichter«, weil ihr Radius nicht stimmte. Dort kam es oft zu Stürzen. Davon waren vor allem die Sportler betroffen, die nicht ständig auf der Bahn trainierten. Das beeinträchtigte das Image der Bahn. Selbst die Oberhofer Sportler taten alles, um nicht in Oberwiesenthal trainieren zu müssen. Und demzufolge fanden auch kaum noch Wettkämpfe statt. Binnen weniger Jahre war die Fichtelberg-Rennrodelbahn damit technisch und moralisch verschlissen.
In der Folgezeit wurde sie zur Vorbereitung von DDR-Auswahlmannschaften auf internationale Wettkämpfe, die bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre noch auf natürlich vereisten Bahnen ausgetragen wurden, sowie für Nachwuchsrennen genutzt. Dazu wurden die Wettkampfstrecken verkürzt. Nach der Ausfahrt aus Kurve 13 entstand ein provisorischer Auslauf, um das Problem der Kurve 15 zu umgehen. Es muss in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gewesen sein, als mit baulichen Veränderungen in den Kurven 14, 15 und 16 die Befahrbarkeit der Kurve 15 verbessert werden sollte. Das gelang zumindest teilweise. Dieser verhältnismäßig hohe Aufwand zum Erhalt einer veralteten Bahn hatte den Grund, dass Oberwiesenthal aller vier Jahre im Wechsel mit Oberhof Gastgeber der Kinder- und Jugendspartakiade der DDR war. Dazu brauchte man eine von einer großen Anzahl von Nachwuchssportlern gefahrlos zu befahrende Rodelbahn.
Von den vier in Oberwiesenthal veranstalteten Spartakiaden (1975, 1979, 1983 und 1987) wurden zumindest die letzten beiden im unteren Teil der Bahn gefahren.
1983 weilte der Fliegerkosmonaut der DDR, Siegmund Jähn, anlässlich der Verleihung seines Namens an der Kinder- und Jugendsportschule in Oberwiesenthal und ließ es sich nicht nehmen, als Doppelhintermann von Weltmeister und Olympiasieger Hans Rinn eine Fahrt auf der Bahn zu unternehmen. Er ist damit vermutlich der prominenteste »Sportler«.
1977 und 1982 wurden die DDR-Meister in Oberwiesenthal gekürt, regelmäßig fanden DDR-Junioren- und Schülermeisterschgaften statt. Als letztert Wettkampf ist mir die DDR-Spartakiade 1987 in Erinnerung.
Mit der Wende wurden die für Betrieb und Nutzung der Fichtelberg-Rennrodelbahn vorhandenen Strukturen (Sportstättenbetrieb, SC Traktor) aufgelöst. Die Bahn verfiel weiter. Die Rennrodler wurden im neu gegründeten Bundesstützpunkt weiter gefördert und nutzen die Bahn zum Sommertraining auf Rollenschlitten. Aber auch das erwies sich zunehmend als unökonomisch, weil alljährlich für Erneuerung der Holzbanden und Glättung der Bahnsohle hohe finanzielle Aufwendungen notwendig waren. Zudem litten die Schlitten und die Rollen stark unter der nach wie vor unebenen Bahnsohle.
Im Zusammenhang mit der Liftmodernisierung an der Himmelsleiter und der Schaffung einer neuen Abfahrtspiste an der Nord- und Nordostseite des Fichtelbergs wurden 1994 Teile der Bahn (bis Kurve 3) abgetragen.
Erhard Klotzsche
Oberwiesenthal, Juli 2016
Mit dem Bildband »Stillgelegt - 100 verlassene Orte in Deutschland und Europa« präsentieren wir eine weitere Perspektive auf das Thema »Toter Ort« im VIMUDEAP-Kontext. Die drei Autoren Robert Conrad, Michael Täger und Thomas Kemnitz arbeiten seit Jahren erfolgreich im Projekt VIMUDEAP zusammen. Der großformatige Bildband entstand 2015 auf Initiative des DuMont Reiseverlages. Er ist im Herbst 2023 in seiner 3. überarbeiteten Auflage erschienen.
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Die Rennschlittenbahn am Fichtelberg