Kaserne Skrunda

Es ist eine unwirkliche und trostlose Landschaft, durch die sich die Landstraße nahe der kleinen lettischen Stadt Skrunda zieht. Trockenes Gras, kahle Birken, Sümpfe, Nadelwald. So unscheinbar wie die Landschaft ist auch der kleine Weg, der nach links von der Straße abzweigt. So unscheinbar, dass man glatt daran vorbeifahren würde, wenn man es nicht besser wüsste. Nach wenigen Minuten Fahrt durch dichten Nadelwald vermeldet die Navigations-App "Sie haben Ihr Ziel erreicht". Vor uns liegt das Zufahrtstor zum Objekt Skrunda-1, Einst bedeutender Bestandteil des sowjetischen Raketenfrühwarnsystems, heute eine Ruinenlandschaft, eine Geisterstadt.

Ab 1955 hatte man begonnen, in Lettland, dem nordwestlichen Ende des riesigen Sowjetreiches, einen neuen Standort für den Betrieb von Radaranlagen zur Erfassung von Raketenstarts zu errichten. Bereits 1967 und 1971 [1] konnten die ersten beiden Radarsysteme vom Typ Dnestr (Nato-Code Hen House), in Betrieb genommen werden, mit welchen eine Reichweite von rund 3.000 Kilometern erzielt werden konnte.[2] Mit der Errichtung eines zusätzlichen Radarsytems vom Typ Daryal (Nato-Code Pechora), dessen Bau 1986 begonnen wurde, hätte eine Reichweite von rund 6.000 Kilometern erreicht werden können, sodass Raketenstarts in ganz Europa, dem Osten der USA und Kanadas, Nordafrika, auf der arabischen Halbinsel und Vorderasien hätten erkannt werden können.[3][4]

Der für 1994 geplanten Fertigstellung der Daryal-Radaranlage machten die politischen Veränderungen der Jahr 1990 und 1991 einen Strich durch die Rechnung: Der Wind des Wandels hatte im Baltikum die einstigen Machtverhältnisse davongeweht und das nun wieder unabhängige Lettland forcierte den Abzug aller russischen Truppen bis zum 31. August 1994. [1] Für Russland hätte es zu diesem Zeitpunkt ein unkalkulierbares Risiko für die nationale Sicherheit dargestellt, den nordwestlichen Part seines Frühwarnsystems zu verlieren, sodass die junge Republik Lettland und die einstige Hegemonialmacht Russland Gespräche über den Weiterbetrieb der Anlage aufnahmen. Diese führten am 17. Februar 1994 zu der Einigung, dass die russischen Streitkräfte beide Radarsysteme vom Typ Dnestr unter Aufsicht der OSZE über den 31. August hinaus vier weitere Jahre betreiben dürften und danach weitere 18 Monate Zeit bekämen, die technischen Anlagen geordnet zurückzubauen. In Lettland stieß das Abkommen auf starken Widerstand. Insbesondere Nationalisten machten Front gegen das Zugeständnis gegenüber des früheren Hegemon aus Moskau, sodass es zu Protesten und sogar zu einem Sabotageakt gegen die Stromversorgung des Objektes kam. [4]

Als die verlängerte Betriebserlaubnis für die Radaranlagen in Skrunda mit großen Schritten auf ihr Ende zuging, versuchte man von russischer Seite, noch einmal zwei Jahre Betriebszeit erwirken zu können, um Verzögerungen beim Bau einer neuen Anlage in Weißrussland zu kompensieren. Doch diesmal bestand die lettische Regierung auf die getroffenen Vereinbarungen, sodass beide Anlagen vom Typ Dnestr zum 31. August 1998 stillzulegen waren. Nachdem eine Delegation der OSZE das Objekt Skrunda am 4. September 1998 begutachtet hatte, bestätigte diese die Stillegung der Radaranlagen. [4] Bereits 1995 war die Bauruine des nicht fertiggestellten Daryal-Systems beseitigt worden. Wie zum Hohn wurde die russische Armee Zeuge, als am 4. Mai 1995 ein US-amerikanisches Abrissunternehmen zusammen mit Ingenieuren der US-Armee im Auftrag der Republik Lettland das 24-stöckige Betongerippe sprengte. [5]
Nach der Stillegung beider Dnestr-Systeme hätten der russischen Armee weitere 18 Monate zugestanden, die Anlagen zurückzubauen und Gerätschaften und Personal bis zum 31. Januar 2000 aus Skrunda abzuziehen. [4] Statt die Frist jedoch bis zum letzten Tag auszureizen, konnten die Rückbauarbeiten frühzeitig abgeschlossen und die Liegenschaft bereits am 26. Oktober 1999 an den lettischen Staat zurückgegeben werden. [6]

In den Jahren nach dem Abzug der russischen Streitkräfte wechselte das Gelände gleich mehrfach den Besitzer und fiel sogar zurück in russische Hände, wenn auch nur in die eines Investors. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, das Gelände in ein Ressort oder ein Gewerbegebiet umzuwandeln, erwarb schließlich 2015 die Gemeinde Skrunda das Areal. Nach dem abermals gescheiterten Versuch, dort Gewerbe anzusiedeln, stellt diese es seit 2016 der lettischen Armee als Truppenübungsplatz zur Verfügung, sodass auf Gelände regelmäßig militärische Manöver stattfinden. Ab 2018 ist geplant, das Gelände durchgehend als Übungsgelände für die Truppen des baltischen Staates zu nutzen. [4] [7]

Michael Täger,  08.12.2017

Das Sperrgebiet SKRUNDA gliederte sich neben den Unterkünften, Lagern u. sonstigen Kasernenbauten in die Objekte Skrunda-1 und Skrunda-2. Unter dem Rufnamen „Kombinat“ verbargen sich die technischen Elemente der 129. sst. funktechnische Frühwarnzentrale. Der Standort wurde als Zentrale RO -2 bezeichnet, RO-1 befand sich bei Murmansk. RO steht für Früherkennung/ Frühwarnanlagen und ist einfach die Verkürzung der Gesamtabkürzung SRO als strategische Frühwarnanlagen. Man hat der Form halber das S weggelassen und vom Standort (S)RO-2 gesprochen und die mit dem Thema befassten Spezialisten wussten dann Bescheid. Militärpostalisch wurde der Standort unter der Feldpostnummer 18951 geführt u. gehörte zu den Truppen der Kosmischen Raketenabwehr.

Dahinter verbargen sich zwei unterschiedliche Erfassungskonzepte als Hinter (Über) horizontradar zur Erfassung anfliegender ballistischer Raketen. Skrunda-1 war die ältere Station und seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aktiv, errichtet wurden Stationen der Serie DNESTR, die durch Modernisierung zum Typ DNESTR-M wurde. Die Station verfügte über einen Sendekomplex, der den zu überwachenden Bereich wie eine fest installierte u. nur in eine Richtung strahlende Radarstation anstrahlte. Bei Anflug von ballistischen Raketen, deren Bahnparameter man ja messen konnte wurden die reflektierten Sendewellen von einer Empfangsstation aufgenommen. Die Antennen wurden als Hornstrahler (рупорные антенны) bezeichnet. Hornstrahler erzeugten für jedes Element einen langgestreckten Erfassungskegel. Die Gebäude waren 250m lang u. 15m hoch.

Der Bau der Anlage wurde 1965 begonnen u. Januar 1969 abgeschlossen. Die Station war eine mit einem Analogsignal arbeitende Station. Am 15. Februar 1971 ging das Objekt als Frühwarnobjekt in den diensthabenden Betrieb (DhS). Ende der 70er Jahre wurde die Station modernisiert, wobei die ältere Station nicht einbezogen wurde. Einige Kilometer vom alten Standort wurde eine neue Station errichtet. Die Erfassungsreichweite betrug 4000km. Danach ging man an die Modernisierung der alten Station. Ab Ende 1979 war der Standort Bestandteil des einheitlichen, strategischen Frühwarnsystems der UdSSR.

In den frühen 80’er Jahren ergaben sich ganz neue Herausforderungen durch die Einführung von ballistischen Interkontinentalraketen mit Mehrfachgefechtsköpfen. Die Erfassung der dritten oder vierten Stufe eines früheren Trägers mit nur einem Mono-Gefechtskopf war kein Problem, mehrere anfliegende Kleinstobjekte, die als Gefechtsköpfe vom Träger abgegeben worden waren und ihre Ziele selbständig anflogen bildeten unter ungünstigen Bedingungen ein Problem , weshalb man sich entschloss, einen neuen Typ Erfassungsradar zu errichten. Dies wäre dann die dritte Generation Erfassungsradar am Standort, bezeichnet als DARJA UM. Empfängerstation u. „Zielbeleuchter“ = „Radar“ blieben aber weiter baulich getrennt. Der Standort wurde dann SKRUNDA-2 genannt obwohl er nicht weit von den alten Standorten entfernt war. Die Erfassung u. Zielbegleitung, auch Target Tracking genannt, hätte dann mit diesen neueren Stationen erfolgen sollen.

Anfang 1990 war der Bau der Empfangsstation mit einer Empfangsantenne mit den Elementeabmaßen 80m x 80m fast abgeschlossen. In der ersten Ausbaustufe sollte der Empfangspunkt die reflektierten Signale empfangen, die die ältere DNEPR Station gesendet hatte. Die Antenne unter dem kyrillischen Pseudonym AFAR ist dabei technisch nichts anderes als ein aktiv arbeitendes Phasen Array, bei dem die Strahlenkegel elektronisch geschwenkt werden, nicht mechanisch durch eine sich drehende oder schwenkbare Antenne..

Peter Rentsch,  05.07.2018

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