Höhere Fliegertechnische Schule Niedergörsdorf

Bereits 1933/34 errichtete die seinerzeit völkerrechtlich noch illegale deutsche Luftwaffe am Standort Heinrichsdorfer Heide nördlich des märkischen Ortes Niedergörsdorf einen Komplex eingeschossiger Baracken zur vorläufigen Unterbringung der - in ihrem Umfang reichsweit einzigartigen - Fliegertechnischen Schule. Die Einrichtung diente von Anfang an der Ausbildung des für eine Luftstreitkraft unverzichtbaren technischen Boden- und Bordpersonals. Im Rahmen von Lehrgängen von unterschiedlicher Dauer wurden hier bis hin zum Kriegsende Spezialisten für verschiedenste Flugzeug- und Waffentechnik herangebildet. 1939/ 40 zog (nach Verlegung des bisherigen Ausbildungsbetriebes in das okkupierte Polen) die Höhere Fliegertechnische Schule von Berlin-Adlershof in die Niedergörsdorfer Bauanlage.

Das heute noch erhaltene repräsentativ angelegte Ensemble zwei- bzw. dreigeschossiger Unterrichts-, Labor-, Unterkunfts- und Verwaltungsbauten wurde wahrscheinlich 1934/35 in der die Rüstungsbautätigkeiten des NS-Staates kennzeichnenden höchsten Eile errichtet. Erstaunlicherweise wählte man als städtebauliche Grundfigur die deutliche Form eines Flugzeugs, obwohl ab 1934 solche signifikanten Grundrisse für Militäranlagen aus Tarnungsgründen untersagt waren.

Die Planer der Anlage bedienten sich in der Eile verschiedener Mischkonstruktionen aus einerseits herkömmlichem, preisgünstigem Mauerwerksbau und andererseits rationellem Stahlbeton- und vor allem Stahlbau. Letzterer wurde vor allem für den Hallenkomplex der Lehrwerkstatt angewendet, aber auch für die Überspannung großer Räume wie der Sporthalle oder des Hörsaals. Bei den übrigen, "nicht-technischen" Gebäuden war man darauf bedacht, die industrielle Bauweise mit vorgefertigten Stahlelementen durch heimattümelnde und zurückhaltend klassizistische Fassaden zu kaschieren. Während der Großteil der Bauanlage so eher ein Beispiel für eine konservative nationalsozialistische "Blut-und Boden"-Architektur darstellt, sind einige Bauten und Gebäudeteile – offenbar aus dem Selbstverständnis der sich elitär und gegenüber den anderen Wehrmachtsteilen betont modern gebenden NS-Luftwaffe heraus – erstaunlich sachlich gestaltet. Dazu gehören neben der erwähnten Unterrichtshalle und dem Garagenpark besonders die dem zeitgenössischen Industriebau entlehnten Stahlbeton-Glas-Konstruktionen der zahlreichen Treppenhausrisalite der Unterkunftsblöcke und des Hörsaalgebäudes. Damit bildet diese in ihrer architektonischen Gestaltung durchaus beeindruckende Anlage ein hervorragendes Beispiel für den nach verwertbaren Versatzstücken tastenden Ekklektizismus der noch unsicheren NS-Architekturdoktrin in den frühen Dreißiger Jahren.

Nach der Übernahme durch die sowjetischen Streitkräfte wurde die Anlage nicht mehr in ihrer ursprünglichen spezialisierten Nutzung und auch nicht als bauliche Einheit weiterbetrieben. Die einzelnen Gebäude wurden den Bedürfnissen der neuen Truppen entsprechend umgenutzt, es fand nur eine unzureichende Bauunterhaltung statt.

1992 wurde die Liegenschaft an die deutschen Behörden übergeben. Seitdem steht die Bauanlage erstmalig in ihrer Geschichte für eine zivile und friedliche Nutzung zur Verfügung. Bedauerlicherweise ist es allerdings bisher noch nicht gelungen, ein tragfähiges Nutzungskonzept für die Bauanlage zu finden, um so ihren weitgehenden Erhalt gewährleisten zu können. Bisher konnten nur einige allernötigste, jedoch nicht ausreichende Sicherungen der Bausubstanz vorgenommen werden.
Inzwischen steht das gesamte Bauensemble unter Denkmalschutz.

Den ausführlichen Text können Sie auch als PDF-Dokument herunterladen

Robert Conrad,  14.06.2000