VEB Isokond Berlin

Im Berliner Bezirk Weissensee finden sich zahlreiche Gebiete, in denen traditionell Wohnen und Gewerbe gemischt sind.
Das offene Tor einer unscheinbaren Industriefassade weist den Weg in eine labyrinthische Ansammlung von zugemüllten und mit Graffities übersäten Industriehallen unterschiedlicher Epochen und Größe. Das »Ablichten« repräsentativer Motive geht routinemässig zügig von der Hand. Doch auch bei diesem Objekt bleibt beim Verlassen die beunruhigende Frage: Hm, was mag das gewesen sein?
Beim Einsteigen ins Auto schaffen es die im Augenwinkel vorbeischwenkenden vorher übersehenen besonders hohen Fenster, mich zum Aussteigen zu bewegen.
Die Ergebnisse der erneuten Suche und die anschliessende Internetrecherche ergaben den zugegebenermassen recht geheimnisvollen Titel für den Einstieg in die Objekt-Infotexte: »Zwischen Unterwelt und Kosmos«.

Thomas Kemnitz,  21.08.2006

Der Begriff »Unterwelt« steht weithin nicht einfach für etwas, was sich unter der Erde befindet. Vielmehr knüpfen sich an ihn u.a. unsere Vorstellungen vom Geheimnisvollen, Unbekannten, Dunklen und in der Regel auch vom Bedrohlichem - nicht zuletzt soll ja auch der Teufel unter der Erde wohnen.
Auch wenn sich am Standort selbst keine unterirdischen Bauten befinden, führt die 100-jährige Geschichte des Standortes direkt in die dunkelsten Teile unserer postindustriellen Welt.

Seit 1907 wurden auf dem Areal Produkte der Elektroindustrie, vorwiegend Kondensatoren, hergestellt. Das spätere VEB Isolierstoff- und Kondensatorenwerk (Isokond) Berlin-Weißensee stellte in erster Linie Großkondensatoren für Elektrolokomotiven her. Als Kombinatsbetrieb des alleinigen Herstellers von Elektrolokomotiven in der DDR, dem VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke "Hans Beimler" (LEW) Hennigsdorf, hatte das Berliner Werk einen entsprechenden Produktionsausstoss. Gemessen an der Tatsache, dass zur Herstellung von solchen Leistungskondensatoren jede Menge polychlorierte Biphenyle (PCB) und leichtflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe (LCKW) [siehe Begriffe] genutzt wurden, wundert es nicht, dass die Berliner Umweltbehörden zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf die bedenkliche Verunreinigung des Berliner Grundwassers hinweisen.
Es wird schnell gehandelt und die Hauptproduktionshalle abgerissen. Umfangreiche Anlagen zur Grundwasser- und Bodenluftreinigung werden installiert. Bis ins Jahr 2006 verschlang das Projekt fast 5 Millionen (!) Euro. Es wurden dabei Schadstoffe im zweistelligen Tonnen-Bereich ausgetragen.

Das Bild Isokond 05, mit dem auf der bereinigten Fläche errichteten LIDL-Markt im Hintergrund, führt durch eine aufgebrochene Hallenwand über eine riesige offene Ölwanne direkt in den »Kosmos«.

Thomas Kemnitz,  21.08.2006

Ein richtiger Kosmos mit den entsprechenden Installationen! Die perfekte Kulisse für Kubricks Mondlandung von Apollo 11 - wäre da nicht das Trafo-Öl-Loch, das wieder in die »Unterwelt« führt, und auf die einstige Nutzung der im Raum befindlichen Anlagen verweist: eine Hochspannungs-Prüfanlage.

Auch wenn das Werk vermutlich keine eigene Entwicklungsabteilung besaß (die wenigen Büroräume wurden gut und gerne mit Verwaltungspersonal gefüllt), ist vorstellbar, dass mit dieser Anlage die Durchschlagsfestigkeit und andere technische Parameter der einzelnen Produkte/Baureihen bestimmt wurden. Die Größe der Anlage resultiert aus dem Produkt »Leistungskondensator« selbst: hohe Spannungen oder/und Ströme mussten umgesetzt werden.

Thomas Kemnitz,  21.08.2006

Mit Hilfe von www.stadtentwicklung.berlin.de konnten folgende Begriffe geklärt werden:

PCB - Polychlorierte Biphenyle
Das heute verbotene PCB wurde zum Beispiel in Kondensatoren, Transformatoren, in Hydrauliköl, in Lacke, Harze, Kunststoffe, Druckerfarben, Klebstoffe und in dauerhaft elastische Dichtungsmassen eingesetzt. PCB reichert sich über die Nahrungskette an und kann bei langfristiger Aufnahme zu Leber-, Milz- und Nierenschäden führen.

LCKW - Leichtflüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe
Eine Gruppe von oft stark gesundheitsschädlichen in der Natur nicht vorkommenden Stoffen, die z.B. für Reinigungszwecke verwendet wird (z.B. Tetrachlorethen, Vinylchlorid).

Grundwasserleiter
Gesteinskörper, der geeignet ist, Grundwasser aufzunehmen und weiterzuleiten.

Thomas Kemnitz,  28.08.2006

[1] www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/bodenschutz/de/
nachsorge/isokond.shtml


[2] strassenfeger.org/strassenfeger/ausgabe_2005-17/0003/

[3] www.landesarchiv-berlin.de

[4] D. Lorenz, Abbuch einer ehemaligen Kondensatorenfabrik in Berlin, Tiefbau, H. 3/2003, S. 176-178, Berlin 2003.

Thomas Kemnitz,  21.08.2006

Auch an dieser Stelle wieder der fast schon obligatorische Aufruf an alle Fachleute und ehemaligen Beschäftigten, mit ihrem Wissen zur Geschichte des Objektes, den technischen Anlagen und Verfahren nicht hinter dem Berg zu halten und sie an dieser Stelle zu posten.
Vielen Dank!

Thomas Kemnitz,  21.08.2006

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